Am vergangenen Freitag, den 06.09., waren wir mit einer kleinen, aber lauten Demo in Ingelheim und haben den Abschiebeknast sichtbar gemacht. Warum wir da waren, erklären wir in unserer gemeinsamen Pressemittelung mit dem Flüchtlingsrat RLP, der Seebrücke Mainz udn dem Medinetz Mainz:
We are working on an english translation, which will follow soon!
Am Freitag, den 30.08., war der Tag gegen Abschiebehaft. Anlässlich der aktuellen Diskurse rund um Abschiebehaft wollen wir diesen Tag nutzen, um auf das Unrecht in deutschen
Abschiebegefängnissen, mit einem besonderen Fokus auf das Gefängnis in Ingelheim, aufmerksam zu machen.
Im Abschiebegefängnis in Ingelheim werden jährlich ca. 400 Menschen inhaftiert. Dies geschieht oft ohne Vorwarnung – dabei wissen die Menschen häufig nicht, wieso oder wie lange sie inhaftiert werden. Gefangene aus anderen Gefängnissen berichten immer wieder, dass sie nicht verstehen warum sie nun eingesperrt sind. Die Menschen werden dort nicht inhaftiert, weil sie eine Straftat begangen haben, sondern nur um die Abschiebung zu sichern. Darin liegt auch begründet, dass die Gefängnisse als “Gewahrsamseinrichtung” oder “Unterbringungseinrichtung” betitelt werden und Politiker*innen immer wieder von “Untergebrachten” und nicht Gefangenen sprechen. Dies sind Euphemismen, welche die Fantasie von: “Ist ja nicht so schlimm” ermöglichen sollen. Was dort aber passiert, ist das Einsperren von Menschen, nur um sie für Ausländerbehörden und Polizei verfügbar zu halten.
Es ist bekannt, dass Abschiebehaft Menschen (re)traumatisieren kann, sogar mit tödlichen Folgen. Immer wieder versuchen und nehmen sich Menschen in Abschiebehaft das Leben, oder sterben während, wie nach der Abschiebung. Allein für den Tag des 30.08. gibt es mehrere Beispiele: Kola Bankole wurde am 30.08.1994 auf einem Abschiebeflug durch den Bundesgrenzschutz mit einem Knebel im Mund erstickt. Rachid Sbaabi starb am 30.8.1999 in der Arrestzelle des Bürener Abschiebegefängnisses an einer Rauchvergiftung, da die Matratze in seiner Einzelzelle Feuer gefangen hatte. Trotz Betätigung des Alarms kamen die Polizisten erst nach 15 Minuten. Altankhou Dagwasoundels starb am 30.8.2000 beim Versuch, sich aus dem sechsten Stock des Krankenhauses Köpenick mit verknotetem Bettzeug abzuseilen. Er war nach vier Wochen in Abschiebehaft in das Krankenhaus eingeliefert worden. Sein Zimmer wurde von zwei Beamten bewacht. Viele weitere Fälle finden sich in der Dokumentation der Antirassistischen Initiative Berlin, welche minutiös die Toten deutscher Abschottungspolitik seit Jahrzehnten dokumentiert. Die psychologische Betreuung der Gefangenen in Ingelheim ist auf zwei Stunden die Woche veranschlagt – bei einer Haftanstalt mit 40 Plätzen! Auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat dies als weit unzureichend kritisiert.
Menschen in Abschiebehaft werden aus ihrem Umfeld gerissen, in Behörden oder auf der Arbeit
festgenommen, und weggesperrt – und dies oft zu Unrecht. In über der Hälfte der angefochtenen Fälle war die Haft rechtswidrig. Hier die Zahlen rechtswidriger Haft in Ingelheim: 2015: 53,8%; 2016: 52,3%; 2017: 45,6%; 2018: 44,6%; 2019: 55 %; 2020: 57,5 (Quelle: 20 Jahre ökumenisches Engagement in der Abschiebungshaft Ingelheim). Verlässliche Zahlen von staatlicher Seite gibt es nicht, da diese nicht erhoben werden. Wir fragen uns ob dies bei der hohen Anzahl rechtswidriger Haft bewusst geschieht? Getreu dem Motto: “Keine Zahlen, kein Problem.” Auch sucht mensch vergebens nach allgemeinen Zahlen zur Dauer oder Anzahl der Inhaftierungen, wie viele wieder frei gelassen werden mussten, nach Informationen zum Haftalltag, usw. Der Freiheitsentzug ist das schärfste Mittel eines Rechtsstaats, wird auf eine marginalisierte Gruppe hier angewandt und nirgendswo findet sich irgendeine Form von Rechenschaft darüber. Das kann nicht sein.
Auch wenn seit kurzem endlich ein*e Pflichtverteidiger*in in Abschiebehaftverfahren beigeordnet wird, so heißt dies nicht gleich, dass sich die Situation für Inhaftierte maßgeblich verbessert. Zumeinen gibt die gesetzliche Lage sehr weite Möglichkeiten Menschen einzusperren, um sie Abschiebung zu können; zum Anderen mehren sich die Berichte von Verteidiger*innen, die sich in dem Feld nicht auskennen oder einfach untätig sind. Um dann aus der Pflichtverteidigung heraus zu kommen ist mitunter schwierig und kostspielig. Das reine Bestellen einer anwaltlichen Vertretung löst also aus unserer Sicht nicht das grundsätzliche Problem Abschiebehaft.
Deutschland hat kein Vollzugs- oder Abschottungsdefizit, sondern ein Anerkennungsdefizit!
Anerkennung dafür, dass die Menschen die zu uns kommen ein Recht darauf haben hier zu bleiben – die bereinigte Schutzquote bei Asylanträgen liegt bei über 75%! Anerkennung dafür, dass die Menschen, die hier sind, Teil unserer Gesellschaft sind! Anerkennung dafür, dass Abschiebungen gesellschaftliche Probleme nicht lösen, sondern diese nur gemeinsam angegangen werden können! Anerkennung dafür, dass nur ein gemeinsamer Weg mehr Schutz für Alle schafft!
Für das Recht zu gehen und zu bleiben! Gemeinsam gegen Abschiebehaft! Für eine Gesellschaft der Teilhabe und Vielfalt!
Zu den Verfasserinnen:
INGA – Soligruppe gegen den Abschiebeknast Ingelheim
INGA will eine Gesellschaft, in der alle solidarisch miteinander umgehen. Eine Gesellschaft, in der sich Menschen gegenseitig unterstützen, aufeinander Rücksicht nehmen, Probleme gemeinsam angehen und lösen. Eine Gesellschaft, die alle einbezieht, an der alle teilhaben können und die Menschen nicht zu vermeintlich ‘Fremden’ macht und ausschließt. Für diese Gesellschaft kämpfen wir.
Anlässlich des Tages gegen Abschiebehaft wird es eine Demonstration in Ingelheim (Marktplatz, von da zum Abschiebegefängnis) um 16:30 Uhr geben. Das Abschiebegefängnis erzeugt Leid, ist politisch gewollt und der Vollzug findet viel zu oft im Verborgenen statt. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, sowie Aufmerksamkeit und Bewusstsein für diese Form von institutionellem Rassismus zu schaffen, ruft INGA zur Demonstration gegen den Abschiebeknast in Ingelheim auf.
Flüchtlingsrat RLP e.V.
Der Flüchtlingsrat RLP e.V. ist eine Menschenrechtsorganisation, die sich mit Flüchtlingen und Migrant:innen solidarisiert und sich für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant:innen stark macht. Der Flüchtlingsrat RLP e.V. fordert gleiche Rechte für alle, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung, Befähigung, gesellschaftlichem oder wirtschaftlichem Status. Der Flüchtlingsrat RLP e.V. arbeitet überparteilich. Mit Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Gesprächen mit der Politik unterstützt er die solidarische Flüchtlingsarbeit im Bundesland.
Seebrücke Mainz
Die Seebrücke ist eine politische Bewegung, getragen vorwiegend von Einzelpersonen aus der Zivilgesellschaft. Mit Demonstrationen und Protestaktionen auf dem Land und in der Stadt streiten wir mit unseren zahlreichen Lokalgruppen für eine solidarische und menschenrechtsbasierte Migrationspolitik – kurz: Weg von der Abschottung und hin zu Bewegungsfreiheit für alle Menschen!
Medinetz Mainz e.V.
Medinetz Mainz e.V. ist eine Anlaufstelle für Asylbewerberinnen, Migrantinnen und Menschen ohne Papiere, die in Mainz leben und keine Krankenversicherung haben. Medinetz Mainz arbeitenmit Ärztinnen, Laboren und Kliniken zusammen und vermitteln medizinische Behandlungen, Laboruntersuchungen und Schwangerschaftsvorsorge.